Arbeitsgruppe Politische Positionierung

Seit Herbst 2018 gibt es in eine Arbeitsgruppe, die sich damit befasst, was Kreidestaub Berlin/Potsdam für die Lehrkräftebildung fordert. Seit mehreren Monaten ist diese Arbeitsgruppe in einem intensiven Prozess und möchte nun erste Ergebnisse mit der Öffentlichkeit teilen.

Mit dem Grundsatzpapier (siehe unten) möchte sich Kreidestaub Berlin/Potsdam erstmalig öffentlich zur Lehrkräftebildung positionieren. Es handelt sich um eine vorläufige Version, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit hat.

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Grundsatzpapier Politische Positionierung

Kreidestaub Berlin/Potsdam

Stand 19. Juli 2019

PRÄAMBEL

Mit diesem Grundsatzpapier positioniert sich Kreidestaub Berlin/Potsdam erstmalig öffentlich. 

Wir beschränken uns dabei auf den Bereich Lehrkräftebildung in dem Wissen, dass eine Positionierung in diesem Bereich wiederum von normativen Vorstellungen von Schule und Gesellschaft geprägt ist. Die unseren Positionierungen zugrundeliegenden normativen Vorstellungen thematisieren wir in diesem Grundsatzpapier nicht. 

Die folgenden Dimensionen bilden einen Ist-Stand ab und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist unser Ziel, weitere Dimensionen aufzunehmen und zu den einzelnen Dimensionen zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher Stellung zu beziehen. 

ORGANISATION DES STUDIUMS

Eindeutige Lehramtsausrichtung des Studiums

Häufig sind die Bachelorstudiengänge keine reinen Lehramtsstudiengänge, sondern fachwissenschaftliche Bachelorstudiengänge mit Lehramtsoption. Diese führt dazu, dass das Bachelorstudium fachwissenschaftliche Inhalte stark fokussiert und bildungswissenschaftliche Themen nur am Rande aufgegriffen werden.

Wir sehen diese Lehramtsoption und das Signal, das sie an Studierende sendet, kritisch. Unsere These ist, dass die meisten Studierenden, die mit einem Lehramtsstudiengang anfangen, tatsächlich Lehrer*innen werden wollen. Ein Studiengang, der von Anfang an auf sie und ihre Bedarfe ausgerichtet wäre, würde Lehramtsstudierende besser auf ihre spätere Tätigkeit vorbereiten und gleichzeitig den Unentschlossenen Orientierung geben. Insofern sprechen wir uns für eine eindeutige Ausrichtung der Lehramtstudiengänge mit lehramtsbezogenen Modulen ab dem ersten Semester aus. 

Gewichtung der Bildungswissenschaften

Gegenstand der Bildungswissenschaften sind fachunabhängige Inhalte aus den Bereichen Lehren und Lernen, sowie Erziehung und Bildung als Grundlage pädagogischen Handelns.

Um eine eigene Position zu Schul- und Bildungssystem, didaktischen Modellen oder methodischer Unterrichtsorganisation zu entwickeln, müssen Lehrkräfte in der Lage sein, das eigene Handeln aus soziologischer, psychologischer, erziehungswissenschaftlicher und philosophischer Perspektive zu begründen.

Diese bildungswissenschaftlichen Anteile des Studiums sollen angehende Lehrer*innen auf die pädagogische Arbeit in Schulen vorbereiten, nehmen im Vergleich zu Fachwissenschaft und -didaktik jedoch einen geringen Studienanteil ein. Wir fordern, dass dieser Bereich sowohl quantitativ als auch qualitativ eine zentrale Rolle im Lehramtsstudium spielt und umfangreicher thematisiert wird.

Wahlfreiheit

Im Lehramtsstudium wünschen wir uns für Studierende mehr Wahlfreiheit. Sie kommen mit unterschiedlichen Voraussetzungen ins Studium und müssen sich demnach auch in unterschiedlichen Bereichen weiterentwickeln.

Lehramtsstudierende sollten zentrale Anforderungsbereiche des Lehrer*innenberufs kennenlernen, individuelle Stärken und Entwicklungsbereiche identifizieren und begründet Schwerpunkte in ihrem Studium, auf Grundlage ihrer persönlichen Entwicklungsziele setzen können. Indem Studierende Wahlfreiheit im Studium haben, bietet sich ihnen die Möglichkeit, gemäß ihrer Entwicklungsbereiche gezielt Lehrveranstaltungen wählen können und sich in den für sie relevanten Bereichen weiterzuentwickeln.

Verschränkung von Theorie und Praxis

Viele der bildungswissenschaftlichen Inhalte werden von Studierenden als wenig hilfreich empfunden, da die Theorie losgelöst von der Praxis vermittelt wird. Junge Lehrkräfte sind außerdem überwiegend nicht in der Lage, ihr im Studium erworbenes theoretisches Wissen zuverlässig in die Praxis umsetzen. Im Gegensatz dazu ist es wünschenswert, dass Studierende den Mehrwert der bildungswissenschaftlichen Anteile für ihre Berufspraxis erkennen und dass das erworbene theoretische Wissen die Ausbildung professioneller Handlungskompetenzen ermöglicht und unterstützt. Dafür sollte es die universitäre Lehrkräftebildung umfangreich und regelmäßig ermöglichen, dass Theorie in der Praxis und Praxis anhand der Theorie reflektiert werden kann.

SOZIAL- UND SELBSTKOMPETENZEN

Zur professionellen Kompetenz von Lehrer*innen gehört mehr als Fachwissen und fachdidaktische Kompetenzen. Gute Lehrer*innen nehmen eine reflektierte und begründete pädagogische Haltung ein, sind in der Lage angemessen zu kommunizieren, können pädagogische Beziehungen zu Schüler*innen aufbauen und professionell gestalten, mit Eltern konstruktiv zusammenarbeiten und mit Kolleg*innen produktiv kooperieren. Alle diese Facetten der Profession müssen gelernt und entwickelt werden.

Wir fordern deshalb, dass diese Sozial- und Selbstkompetenzen in deutlich breiterem Umfang als bisher Teil des Lehramtsstudiums werden.

Kritische Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem und den Zielen von Erziehung und Bildung

Bildungssysteme sind historisch gewachsen und soziokulturell sowie politisch beeinflusst. Insofern sind sie, genau wie Bildungs- und Erziehungsziele, kontextabhängig und niemals endgültig. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer kontinuierlichen Reflexion sowohl des Bildungssystems als auch der Ziele von Bildung und Erziehung.

Wir fordern eine Lehrer*innenbildung, die diesem Umstand Rechnung trägt und Lehramtsstudierende dazu ermutigt, das aktuelle Bildungssystem sowie Bildungs- und Erziehungsziele kritisch zu hinterfragen und bestehende Schulpraxis nicht unreflektiert zu reproduzieren. 

Reflexion der eigenen Bildungsbiografie

Viele Lehrkräfte reproduzieren in ihrer Tätigkeit große Teile ihrer eigenen Schulerfahrung, die häufig kein angemessenes Vorbild für zeitgemäße Schul- und Bildungspraxis darstellt. Aus diesem Grund müssen sich Studierende mit ihren impliziten und unreflektierten Vorbildern und -annahmen auseinandersetzen und diese durch Beispiele gelingender schulischer Praxis sowie wissenschaftliche Konzepte ergänzen. Das Lehramtsstudium sollte hierfür Raum bieten und Studierenden gleich zu Beginn ihrer Ausbildungsphase zur Reflexion anregen. 

Haltung durch gesellschaftliche Sensibilisierung

INKLUSION

Inklusion ist eine der aktuellen, zentralen Aufgaben von Bildungsinstitutionen und Gesellschaft. Inklusive Pädagogik zielt auf uneingeschränkte Partizipation vulnerabler und marginalisierter Menschen in allen Lebensbereichen ab. Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 sind die Länder dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die einen barrierefreien Bildungszugang für alle Menschen ermöglichen. Für Schulen ergibt sich daraus die Notwendigkeit, einen konstruktiven Umgang mit diesem Systemwechsel sicherzustellen und einer zunehmend heterogenisierten Schüler*innenschaft gerecht zu werden. Demnach müssen alle angehenden Lehrkräfte in ihrem Studium darauf vorbereitet werden, schulische Bildung inklusiv zu gestalten und eine inklusive Haltung zu entwickeln.

CHANCENGERECHTIGKEIT

In Deutschland hängt der Bildungserfolg nach wie vor in hohem Maße vom sozioökonomischen Hintergrund des Elternhauses ab. Schule als staatliche Bildungsinstitution muss jedoch ein Ort sein, der soziale Ungleichheiten nicht verstärkt, sondern abbaut.  Alle Schüler*innen müssen ungeachtet ihrer Herkunft gefördert werden, um die Chance zu bekommen an gesellschaftlichen Prozessen partizipieren zu können. 

Folglich ist es unerlässlich, dass angehende Lehrer*innen in den Bildungswissenschaften für die Wirkmächtigkeit von Selektionsmechanismen und gesellschaftlichen Machtstrukturen sowie die Funktion des Bildungssystems in Deutschland sensibilisiert werden.

 

DISKRIMINIERUNG

Diskriminierung von Menschen aufgrund von race, class, gender und anderen Kategorien – die gleichberechtigt mitgedacht werden müssen – stellen ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft dar und treten auch an Schulen auf. 

Schulen müssen sich dieser gesellschaftlichen Problematik stellen und eine kritische Auseinandersetzung anregen. Lehrer*innen sind dazu verpflichtet demokratische, gewaltfreie und diskriminierungssensible Lernräume zu gestalten. 

Sollen bestehende Diskriminierungsmechanismen nicht reproduziert werden, ist es unerlässlich, dass sich Lehramtsstudierende innerhalb ihres Studiums selbstreflexiv der eigenen gesellschaftlichen Positionierung und den damit ggf. einhergehenden Privilegien bewusst werden und ihre eigenen diskriminierenden Verhaltensweisen identifizieren.

Sie müssen geeignete Strategien kennenlernen, um mit jeglicher Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit angemessen umgehen zu können.

GELINGENDES LEHREN UND LERNEN

Schule als sicherer und gewaltfreier Raum

Jegliche Form von Gewalt stellt Schulen vor Herausforderungen und verhindert, dass sich alle Beteiligten wohlfühlen können. Als Handlungsraum von Pädagog*innen und Schüler*innen, muss Schule sich diesem Umstand stellen, wenn sie eine positive Lernumgebung gewährleisten möchte. Sie muss Antworten finden, die allen Beteiligten Präventions- und Interventionsoptionen an die Hand gibt.

Als Akteur*innen, die für diese Prozesse verantwortlich sind, müssen angehende Lehrkräfte in ihrem Studium dieses vielfältige Aufgabenfeld vorbereitet werden.

Demokratiebildung

Demokratiebildung als Grundlage für eine selbstbestimmte und -verantwortliche gesellschaftliche Teilhabe muss ein zentraler Bestandteil schulischer Bildung sein. Dafür braucht es Schulen, in denen Demokratie erfahrbar gemacht wird und allen Beteiligten Partizipation und Mitbestimmung ermöglicht wird. 

Um solche Bedingungen und Lernumgebungen zu schaffen, ist es für angehende Lehrer*innen unerlässlich, Kompetenzen im Bereich Demokratiebildung zu erlangen. 

Deshalb sollte die universitäre Lehrkräftebildung Selbstwirksamkeitserfahrungen echter Partizipation, Mitbestimmung und selbstbestimmten Lernens für Studierende schaffen, damit sie eine nachhaltige demokratische Haltung entwickeln können, die vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen, in denen die Demokratie immer häufiger auf die Probe gestellt wird, notwendig ist.

Ökologie und Nachhaltigkeit

Angesichts der global existenzbedrohenden Krise des Ökosystem müssen die Bereiche Ökologie, Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit in Schulen thematisiert werden. Schulische Bildung muss junge Menschen dazu befähigen eine kritische Perspektive auf diese Probleme und bisherige Lösungsansätze einzunehmen.

Die universitäre Lehrkräftebildung sollte diese Bereiche fachunspezifisch aufgreifen, angehende Lehrer*innen für diesen Anforderungsbereich schulischer Bildung sensibilisieren und sie befähigen, gemeinsam mit Schüler*innen zu lernen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.

Sprachbildung

Sprache spielt als ein Medium der Kommunikation eine maßgebliche Rolle, um Partizipation für jede*n Einzelne*n zu ermöglichen. Schule sollte deshalb alles dafür tun, dass junge Menschen Sprachkompetenzen erwerben, die ihnen die Möglichkeit zur Partizipation bieten. Lehrkräfte sollten deshalb sowohl im Bewusstsein darüber sein, welche Konsequenzen sprachliche Schwierigkeiten eine*r Schüler*in für deren schulische und berufliche Karriere bedeutet, als auch Fähigkeiten erwerben, dieser Herausforderung professionell zu begegnen.

Medienbildung

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche schreitet fort und verändert das Zusammenleben aller Menschen. Schule als Bildungs- und Sozialisationsort wird von diesen Veränderungen durchdrungen und beeinflusst. 

Aufgabe von Schule ist es, diesen Wandel kritisch und reflektiert zu begegnen. Dazu gehört eine Medienbildung, die junge Menschen dazu befähigt, sich sicher, verantwortungsbewusst, kompetent und reflektiert in der digitalen Welt zu bewegen sowie Chancen und Risiken dieser digitalen Transformation einschätzen zu können. 

Die Lehrkräftebildung muss angehende Lehrer*innen auf verschiedenen Ebenen darauf vorbereiten, eine solche Medienbildung umzusetzen. Dazu gehört unter anderem die Kompetenz, sicher und angemessen mit technischen Geräten und digitalen Anwendungen umgehen zu können, genauso aber die kritische Reflexion dieser neuen digitalen Möglichkeiten.

SCHULE ALS LEBENSORT

Bedeutung der Einzelschule

Schule ist weit mehr als Unterricht. Die Bedeutung der Einzelschule als pädagogische Handlungseinheit wird im Lehramtsstudium jedoch zu wenig thematisiert. Angehende Lehrkräfte müssen auf die außerunterrichtlichen Aufgaben ihrer Berufspraxis im Studium vorbereitet, mit Schulqualität in Berührung kommen und zur Gestaltung der Einzelschule ermutigt werden.

Schulentwicklung

Schule zu gestalten und weiterzuentwickeln ist Aufgabe jeder Lehrkraft. Durch Schulentwicklung können Schulen ihre Freiräume und Ausgestaltungsmöglichkeiten nutzen, um auf Veränderungen reagieren, Herausforderungen begegnen zu können. Sie trägt zur Qualitätsverbesserung von Schulen bei.

Die Lehrkräfte von morgen müssen während ihres Studiums auf diese Aufgabe vorbereitet werden, damit sie in der späteren Schulpraxis souverän mit der Entwicklungsaufgabe umgehen, am Prozess partizipieren und ihn mitgestalten können.

Kollegiale Zusammenarbeit

Aktuelle Herausforderungen können von einzelnen Personen in Schulen kaum bewältigt werden. Folglich wird die Bereitschaft und Kompetenz zur Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteur*innen im Handlungsfeld Schule für die einzelne Lehrkraft und das Kollegium zu einer immer dringlicheren Notwendigkeit. 

Die universitäre Bildung muss erkennen, dass zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften mehr als Fachwissen und fachdidaktische Kompetenz gehört. Lehrkräfte müssen daher unbedingt auf die kollegiale und multiprofessionelle Kooperation im Team vorbereitet werden - nur so können zukünftig auftretende Herausforderungen in und um den Unterricht von allen Beteiligten gemeinsam gemeistert werden.

Zusammenarbeit mit den Eltern

 Schule und Lehrkräfte müssen in der Lage sein, die Eltern in den Bildungsprozess ihres Kindes einzubeziehen. Dazu gehört z.B., dass die Eltern über aktuelle Entwicklungen ihres Kindes informiert sind, der Zugang zu Beratungsangeboten der Schule unkompliziert und einladend organisiert ist und Eltern in die Schulgemeinschaft integriert sind.

Das familiäre Umfeld ist eines der Haupteinflussfaktoren in der Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Die gelungene Zusammenarbeit mit den Eltern ist einerseits wichtig, um die Lebensumstände der jeweiligen Schüler*innen besser zu verstehen und dementsprechend empathisch und entwicklungsfördernd handeln zu können. Andererseits wirkt sich eine positive Haltung der Eltern gegenüber der Schule auch positiv auf den Bildungsprozess ihres Kindes aus.

Eine offene und kooperative Haltung der Lehrkräfte sowie das Interesse an der Zusammenarbeit mit den Eltern ist die Grundlage für eine gelungene Zusammenarbeit. Darüber hinaus sollten Lehrkräfte dazu befähigt werden,  Beratungs- und Informationsangebote kompetent zu gestalten.